23. Juni 2012 · 01:37
Auch wenn der Autor der nachfolgenden Geschichte nicht bestätigt hat, dass es hier um den Realschullehrer Peter Rachow geht, so sind die Parallelen doch so frappierend, dass nur ein vernünftiger Schluss übrig bleibt: Der Labi dieser Geschichte ist der Realschullehrer und fanatische Antiraucher Peter Rachow aus Wörth am Rhein. Die folgende Geschichte stammt aus dem Forum von Netzwerk Rauchen.
Liebe Forumsteilnehmer,
bisher habe ich hier noch nichts geschrieben, dafür mich aber in den letzten Wochen durch zahlreiche Raucher- und Nichtraucherforen geklickt, um mir ein möglichst vollständiges Bild über die Meinungen und Einstellungen zu machen.
Ich habe dabei etliche Eindrücke gewonnen, aber ganz besonders erwähnen will ich die wiedergekehrten Erinnerungen, die ich an einen Menschen aus meiner lange zurückliegenden Studienzeit in den 70er Jahren hege. Er kannte sich mit Elektrotechnik und Physik aus, was ihn für uns, allesamt Geisteswissenschaftler, zu einem wertvollen Mitglied der Gesellschaft machte, auch wenn er ansonsten im menschlichen Genpool eine eher untergeordnete Stellung einnahm. Wir nannten ihn den Exponential-Labi, weil seine bevorzugte Eigenschaft das Labern ohne Anfang und Ende sowie ohne Sinn und Verstand gehörte. Der Labi besaß allerdings eine sehr nützliche Fähigkeit, er konnte grandios defekte Elektrogeräte diagnostizieren und reparieren, was zur Folge hatte, dass man sich ab und zu in Labis Bude begeben musste, da der Mann dankbar für jedes eiernde Tonbandgerät und jeden funkensprühenden Verstärker war.
Es war zum einen sein Basteltrieb, zum anderen seine unverkennbare gesellschaftliche Isolation, die den Labi erstrahlen ließ, wenn jemand zu ihm kam. Warum hätte das ansonsten auch jemand tun sollen? Der Mensch war von einer nicht zu beschreibenden Langweiligkeit, zudem war er, von seinem Fachgebiet abgesehen, so dumm wie eine Scheibe Toast, weshalb er sein Studium auch nicht mit Aussicht auf einen gut dotierten Job in der freien Wirtschaft betrieb, nein, er war zufrieden, wenn er an der PH einen Abschluss als Realschullehrer hinbekam. Freunde hatte der Labi keine, so dass er sich welche erfand, von denen er uns dann immer die tollsten Geschichten erzählte. Ich musste mir oft das Lachen verkneifen, wenn der Labi einen seiner Freunde „anrief“, während ich dabei war, diese Nummer war ein Klassiker, denn jeder wusste, dass es diese Leute gar nicht gab. Aber es war uns auch egal, Hauptsache, der Exponential-Labi brachte das Tonbandgerät wieder zum Gleichlauf oder den Cassettenrecorder wieder zum Aufnehmen.
Von einem Partner oder einer Partnerin will ich hier gar nicht sprechen, keine Vorstellung hätte absurder sein können als die, dass sich jemand bei klarem Verstand in Labis Bett verirrte. Dieses war ohnehin nicht besonders einladend, sondern bestand aus einer Matratze, die auf dem Boden lag. Darüber, von vier Vollpfosten gestützt, befand sich ein immens großes Brett, auf dem der Labi eine Eisenbahnlandschaft aufgebaut hatte. Hier konnte er nach Herzenslust dengeln und schrauben und löten und Herr über Leben und Tod spielen. Stolz erzählte er jedem, der es nicht wissen wollte, dass er abends unter seinem Brett lag, sich die Verkabelung von unten ansah und sich dann neue Schaltungen ausdachte. Das war an Ödigkeit nur noch schwer zu überbieten. Jeder wusste: wenn Labi dazu einlud, die neuesten Features seines Eisenbahnspielplatzes vorzuführen, war es Zeit, sich davon zu machen.
Je nach seinem Aufwand für erfolgreiche Reparaturen stellte man dem Labi immer mal wieder einen Kasten Billig-Bier ins Treppenhaus. Meist vergass er, ihn als Ganzes in die Wohnung zu holen, was dann seine Mutter, bei der er noch lange nach dem Abitur gewohnt hatte, mit kritischen Worten kommentierte, wenn sie bei ihm die Wäsche abholen kam. Mehr als einmal bekam ich dieses ganz besonders spannende Duo live mit, über das man durchaus ein Lexikon der Psychopathologie hätte verfassen können. Ich liebte es, den Labi mit Norman anzusprechen, was er lange nicht begriff, ehe er dann, nach erfolgreicher Reparatur eines tragbaren Fernsehers, Hitchcocks Film Psycho sah. Der Labi fühlte sich durchaus geschmeichelt, immerhin hatte Norman Bates es geschafft, mit einer Frau zu sprechen, was dem Labi, von seiner Mutter abgesehen, verwehrt blieb.
In einem nun allerdings war der Exponential-Labi bei aller Wurstigkeit seiner Person, erbarmungslos: wenn es ums Rauchen ging. Eher vergraulte er sich sogar seine „Kunden“, als dass er das Rauchen in seiner stets nach Azeton und weiteren diversen Lösungs- und Reinigungsmitteln stinkenden Bude zuließ. Auf seine Wohnungstüre hatte er ein mit einem dicken Edding beschriftetes Schild gehängt, auf dem „Raucht woanders!“ stand, daneben befand sich ein Aschenbecher. In der Wohnung gab es einen Vogelkäfig, der mit Kippen und leeren Schachteln halb gefüllt war (woher der Labi die auch immer hatte), und oben auf dem Müll saß ein kleines Plastikgerippe, dem er, aus was auch auch immer, eine schwarze Lunge gebastelt hatte. Es war Anfang der 70er Jahre, jeder rauchte, meist selbstgedrehte Zigaretten, nur der Labi bildete einen Fels im Meer des Rauchs. Wir alle akzeptierten das, zudem eine Fluppe in Labis Frickelnest garantiert nicht geschmeckt hätte. Dass niemand bei ihm rauchen wollte gefiel dem Labi allerdings auch nicht, und so teufelte er bei jeglicher Gelegenheit, das Rauchen müsse überall verboten werden. Dass er nie zu Studentenfeten kam erklärte er nicht etwa damit, dass er da völlig verloren gewesen wäre, nein, er tat es angeblich nicht aus Protest gegen das allgegenwärtige Rauchen. Denn gegen das hatte er eine „unbändige Wut“, weil sein Vater einst an „Lungenkrebs elendiglich verreckt sei“. Kann man auch irgendwo verstehen, wer seinen Vater durch einen Autounfall oder einen Sturz von einer Leiter verloren hatte, der hasste ja deswegen auch fortan alle Autos, Autofahrer, Leitern und Aufleiternkletterer.
Und so saß der Labi dann stets alleine in seiner Bude, lötete Kondensatoren und Widerstände an Platinen und ließ den Santa Fee Express entgleisen, während um ihn herum das Studentenleben tobte. Was wohl aus ihm geworden sein mag? Vielleicht ein neruotischer Realschulllehrer in einem Provinznest? Nun ja, wer will das schon wissen.
Ich war ja damals selber noch jung und hatte wenig psychologische Kenntnisse, aber ich denke schon aus heutiger Warte, dass Labi durchaus auch ein Interesse an der Außenwelt hatte. Oder gehabt hätte, wenn das denn auf Gegenseitigkeit beruht hätte. Tat es aber nicht. In der Mensa saß er entweder ganz für sich alleine oder stand hilflos mit seinem Tablett rum, in der Hoffnung, von irgendeinem Tisch her wäre er rübergewunken worden. Was man nur in höchster Not tat, wenn sich mal wieder ein Elektrogerät verabschiedet hatte, ansonsten war seine Gegenwart die berühmte pain in the ass. Niemand konnte sein Geblubber länger als ein paar Minuten ertragen, und selbst wenn man ihm deutlich machte, es sei jetzt mal genug, konnte ihn das nicht bremsen.
Wenn er tatsächlich mal kurz nichts sagte, weil er dann sein inzwischen längst kalt gewordenes Mensaessen in sich schob wussten alle, dass es gleich wieder weiterging, und meist verdrückte man sich dann rasch. Labis Themen wechselten ohne erkennbare Zäsur vom Platinenlöten über Automotorreparieren bis zur Schilderung, wie er aus dem Müll irgendein Material gerettet hatte, aus dem man astreine Berge fürs Eisenbahnbrett knittern konnte. Und natürlich bekam er, jedenfalls seinen eigenen Worten nach, absolut alles wieder ans Laufen, Spielen, Klappern oder Stinken. Und wehe, jemand sagte mal etwas kritisches über seine Basteleien, dann konnte er richtig wütend werden und ausfallend. Was die ohnehin schon gegen Null gehende Zahl von Leuten, die sich mit ihm überhaupt befassten, noch mehr schrumpfen ließ. Auch hob er ständig darauf ab, dass er ja Abitur gemacht habe, als einziger aus dem Dorf und ließ in jedem zweiten Nebensatz raus, dass er alle anderen für unterbelichtet hielt. Man kann sich ausmalen, was wir Anderen uns dabei so dachten.
Ich denke, er war im Grunde ein totunglücklicher Mensch, der wusste, dass wir es ordentlich krachen ließen, während er dazu einfach nicht fähig war. Man konnte schon in Lachen ausbrechen, wenn er mal versuchte, sich lässig hinzustellen oder -setzen, denn dabei verkrampfte er dann erst recht und stand da wie eine zerdrückte Kippe oder wie ein Stricher an eine Laterne gelehnt.
Gerade fällt mir ein, einmal erfand er sogar eine Freundin namens Inge. Die konnte er uns aber nicht vorstellen, denn die wohnte „in der Zone“. Das war so durchsichtig wie nochwas, hatte aber auch etwas Gutes, denn wenn man den Labi besuchen und zwangsläufig sein Gefasel ertragen musste, weil mal wieder der Recorder nicht recordete, forderte man ihn schlicht auf, von Inge zu erzählen, was er dann auch auf seine sehr blumige Weise tat. Das war zwar völliger Käse, hatte aber einen weitaus höheren Unterhaltungswert als seine Berichte über das Auswechseln irgendwelcher Teile an seinem uralten Karren. Tja, der Labi.